Zentraler Faktor: Arbeit

Ein zentrales Thema, das uns in den nächsten Jahren immer konkreter und dringender beschäftigen wird und das leider noch allzu oft von der Politik ignoriert wird, ist die Frage nach der Arbeit der Zukunft. Arbeit ist einer der wohl wichtigsten Faktoren im Aufbau und Zusammenspiel unserer Gesellschaft. Arbeit liefert die Grundlage unseres Lebens, nicht zuletzt, weil sie unsere Ökonomie definiert und steuert, aber auch, weil wir große Anteile unserer Identität mit ihr verbinden. Wir sind, was wir tun. Mit dem Konzept der Arbeit sind internationale Entscheidungen verbunden, wie Globalisierungsbewegungen und der Verlegung von Fabriken ebenso belegen wie die aktuellen Strafzölle auf Stahl, die in den USA für wirtschaftliche Nachwirkungen sorgen. Andererseits wirkt Arbeit auch im Persönlichen, wenn der (potentielle) Verlust der Arbeit zu individuellen Sorgen und gesellschaftlichen Vorurteilen führt, etwa, dass Flüchtende das soziale Netz belasten und spärlich vorhandene Jobs für sich beanspruchen würden.

Dabei ist vor allem ein Faktor für aktuelle und zukünftige Veränderungen und Umbrüche im Bereich der Arbeit verantwortlich: die fortschreitende Automatisierung. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz und deren Status als „Leben“ wird aus Sicht der Ethik in Lerneinheit 5 („Zukunft des Lebens”) noch einmal besprochen. An dieser Stelle geht es darum, die sozialen Verwerfungen zu beleuchten, die eine Automatisierung der Arbeit für unser Zusammenleben haben wird. Auch wenn aktuelle Studien über die Wahrscheinlichkeitswerte und Zeitperspektiven noch streiten, so sind sich doch alle einig, dass viele Berufe von heute in Zukunft nicht mehr existieren werden. Die zentrale Studie der Oxford University von 2013 geht von 47% aller Arbeitsplätze in den USA und einem Zeitrahmen von 15-20 Jahren aus, während die Ing-DiBa-Studie von 2015 für 59% aller deutschen Arbeitsplätze eine Gefahr der Automatisierung attestiert. Auch wenn nicht alle wissenschaftlichen Ansätze zu denselben Ergebnissen kommen und etwa neue Berufsbilder auch in der Automatisierung entstehen könnten, scheint die Tendenz absehbar – Automatisierung wird die Arbeit der Zukunft verändern.

Robterarm

Bildquelle: Roboterarm, jarmolouk/Pixabay.com, Lizenz: CC0

Gedankenexperiment: Vier Mal Zukunft

Doch wenn, wie alle Prognosen es voraussagen, Arbeit auf lange Sicht der Automatisierung zum Opfer fallen wird, dann bleibt uns als Gesellschaft nichts anderes übrig, als unser Zusammenleben neu zu strukturieren. Der Kapitalismus als sozio-ökonomisches System ist in seiner aktuellen Form ohne ein durch Arbeit erwirtschaftetes Einkommen nicht denkbar. Für den Soziologen Pete Frase ist genau diese Annahme der Ausgangspunkt eines Gedankenexperiments: in seinem Buch Four Futures entwickelt er vier verschiedene Versionen einer zukünftigen Gesellschaft. Allen liegt die Annahme zugrunde, dass Arbeit vollkommen automatisiert ist – eine Extremposition, die so nicht eintreten wird, aber für weitere theoretische Überlegungen nützlich ist. Frase stellt dann die Frage danach, welche weiteren Faktoren unterschiedliche Entwicklungen begünstigen oder behindern könnten und sieht vor allem zwei Punkte als wichtig. Zum einen ist noch offen, wie sich Klimawandel und andere Umweltfaktoren (wie in Lerneinheit 2 „Zukunft im Weltall“ diskutiert) auf die Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen (vor allem Energie) auswirken werden oder ob wir alternative Quellen erlangen. Zum anderen geht die Schere der Einkommen/Vermögen (und damit der gesellschaftlichen Einflussnahme) in den letzten Jahrzehnten immer weiter auseinander. Damit verbunden sind soziale Teilhabe und demokratische Grundprinzipien, die durch ungleiche Machtverteilungen infolge höheren Vermögens ausgehebelt werden.

Aus diesen beiden Faktor generiert Frase eine Matrix von vier Zukunftsvisionen entlang der Achsen einer egalitären vs. hierarchischen Gesellschaftsform („equality vs. hierarchy“) und Mangel- vs. einer Überflussgesellschaft in Hinsicht auf Ressourcen und Energie („scarcity vs. abundance“). Für jede der vier möglichen Kombinationen beschreibt er nun die Zukunft:

Vier mal Zukunft

Bildquelle: Review zum Buch, Autor: Dr. Andy Hine, auf: andyhinesight.com

1. Egalität und Überfluss - Kommunismus

Eine solche und im positivsten Sinne kommunistische Gesellschaft würde Arbeit von jeglichen materiellen Bedürfnissen entkoppeln und uns die Option geben andere Mechanismen für Anerkennung zu generieren, etwa soziales Engagement oder kreative Verwirklichung. Der Wert menschlicher Produktion (Arbeit) wäre definiert durch gesellschaftliche Anerkennung etwa in ästhetischen oder ethischen Kategorien. Alle Menschen dieser Gesellschaft wären im Grundsatz gleich – als SF-Beispiel führt Frase die Föderation in Star Trek an.

2. Hierarchie und Überfluss – Rentismus

Sozialer Status und Macht werden in unserer Gesellschaft vor allem dadurch erhalten, dass ein kleiner Teil der Gesellschaft einen großen Teil der materiellen Güter besitzt und dem Rest der Gesellschaft vorenthält – Arbeit ermöglicht das Erwirtschaften dieser mangelnden Güter. In einer Überfluss-gesellschaft ist diese Form des materiellen Gefälles aber nicht mehr gegeben, somit muss ein anderes Gefälle als Ersatz generiert werden, um den Statusunterschied der beiden Gruppen zu erhalten. Als Beispiel nennt Frase das intellektuelle Copyright, also das geistige Eigentum, was von den Besitzern für die Nutzung via Miete („rent“) bereitgestellt werden kann. Firmenkonglomerate könnten sich diese intellektuellen Rechte sichern und so als Mietbarone ihre Macht sichern: Rentismus beschreibt diese Generation von Kapital aus Mieten. Bereits existierende Beispiele für eine solche Praxis sind die Patentrechte großer Pharmakonzerne an Saatgut-DNS oder das Streaming kultureller Werke (statt des Kaufs einer CD oder DVD). Problematisch ist hier vor allem, wie auf Dauer sichergestellt sein soll, dass das Kapital für die Bezahlung der geistigen Mieten vorhanden ist. Ausbeutung und Unterdrückung einer großen Anzahl von Menschen wären zwangsläufig die Folgen einer solchen Gesellschaft. Daraus resultierend benötigen die Mietbarone ein hohes Maß an Sicherheitsapparaten, um Revolten zu verhindern und Mieter zur Zahlung zu zwingen. Im Grunde aber ist dieses Modell nicht auf Dauer tragbar.

3. Egalität und Mangel - Sozialismus

Wenn Ressourcen nicht im Überfluss vorhanden sind, wird die Gesellschaft gezwungen sein vor allem den eigenen Konsum zu kontrollieren und mit Beschränkungen zu versehen. Die massenhafte Vernichtung natürlicher Ressourcen für kapitalistischen Nutzen (Überfischung der Meere, Rodung der Wälder, Fracking für Ölgewinnung) muss abgestellt werden, alle Umweltkosten für die Produktion gesellschaftlich einberechnet werden (CO2-Emmisionen) etc. Diese Prozesse müssten demokratisch und global entschieden werden, da die Auswirkungen alle Menschen weltweit betreffen. Hierzu ist ein starker Staat (oder Weltstaat) notwendig, der Entscheidungen über den ökologischen „Preis“ eines Produktes festlegt, von marktwirtschaftlichen Interessen unabhängig – deswegen ist das System eines des Sozialismus. Um sich weiterhin materielle Güter leisten zu können, könnte jedem Menschen ein Anteil an Energieleistung ausgezahlt werden (eine Art Umwelt-Grundeinkommen), der dann gegen individuelle materielle Werte getauscht werden kann. Geleistete Arbeit für die Erhaltung von Umwelt und Ressourcen könnten diese Energieleistung aufwerten.

4. Hierarchie und Mangel – Exterminismus

Wenn sozialer Status und Macht für Wenige erhalten bleiben sollen, die Ressourcen aber nicht ausreichen, um allen ein Leben ohne materielle Entbehrungen zu ermöglichen, dann laufen wir auf eine Zukunft hinaus, die Frase als Ideologie der Auslöschung beschreibt, als Exterminismus. Kapitalismus geht von einer wechselseitigen Angewiesenheit von Kapital und Arbeit aus, die jedoch erlischt, wenn Automatisierung die Arbeit ersetzt. Die Besitzer der Produktionsmittel benötigen keine Arbeiter mehr, um ihre Produktion aufrecht zu erhalten. Der Wert eines Menschen reduziert sich auf die Möglichkeit des Konsums, die rapide abnimmt, da er kein neues Kapital mit seiner Arbeitskraft erwirtschaften kann. Diese Zukunft sieht eine immer größere Abschottung der Eliten gegenüber den Massen als notwendig an – das Bedürfnis nach Sicherheit und Abgrenzung wird hier zentral. Unzufriedenheit und Not könnten die arme Bevölkerung gegen die Reichen aufbringen. Zwei Lösungsoptionen bleiben: gewaltsame Kontrolle (z. B. durch Polizei, Gefängnisse; bis zu einem gewissen Punkt) oder Auslöschung (z. B. in Kriegen, aber auch durch Gewalt, Armut, Drogen, etc.). Was hier nach einer extrem dystopischen Vision klingt, ist in abgeschwächter Form bereits heute Teil systemischer Reaktionen auf globale soziale Probleme, wie etwa in der „School-to-Prison-Pipeline“ in den USA, bei Ganggewalt in Südamerika oder in Form globaler Flüchtlingsströme.

Frase verweist bei allen vier Zukunftsszenarien auf deren theoretische Extremposition und darauf, dass zwischen allen Szenarien Wege verlaufen und Zwischenpositionen sehr viel wahrscheinlicher sind. Wer Frases Theorien noch einmal im Original nachlesen möchte, der kann dies im Buch tun oder sich auf den bereits 2011 als Vorlage zum Buch erschienen Artikel im Jacobin Magazin konzentrieren.


Vortrag zur “Zukunft der Arbeit”

In dem Vortrag auf der re:publica 2018 hat Frase seine Gedanken zur Zukunft der Arbeit noch mal zusammengefasst.

Pete Frase auf der Republica

Bildquelle: re:publica, Pete Frase, Vortrag, s. Link

Whose Future? Automation anxiety, ecological apocalypse, and the struggle for the future of labor


Überleben der Reichen

Wie stark der gesellschaftliche Unterschied zwischen Eliten und Massen ist, welche komplett verzerrte Sicht auf die Probleme der Zukunft dadurch entstehen und wie Technologie von beiden Positionen aus eingesetzt werden kann zeigt der Text “Survival of the Richest” von Prof. Dr. Douglas Rushkoff, einem Medientheoretiker der City University of New York. In dem Artikel erklärt Rushkoff, die Tendenz der reichen Eliten sich mit Hilfe von Technologie von den Konsequenzen radikalen Wandels wie Klima, Ungleichheit, etc. freizukaufen. Statt die Ungleichheit zu bekämpfen, wozu Technologie auch in der Lage wäre, entwickeln die Silicon Valley-Milionäre nur immer neue Technologien, um den anderen Menschen zu entkommen (Bunker, Biodome, Sicherheitstechnik, Bewusstseinsuploads etc.).

Biodome des Eden Projekts in Cornwall, UK

Bildquelle: Eden, Penstones/Pixabay.com, Lizenz: CC0


Diskussion

Jede Lerneinheit nutzt als fiktionale Basis der Diskussion einen Science-Fiction-Film, den sich Lernende zum besseren Verständnis eigenständig anschauen können. Für das Thema „Zukunft der Gesellschaft“ empfehlen wir die Sichtung des Films: Elysium (US/ZA 2013, Regie: Neill Blomkamp)

Inhalt

Der Film Eylsium zeigt die Entwicklung der Gesellschaft, sollten Probleme wie Ungleichheit und Klimawandel nicht behoben werden. Die Eliten der Welt haben sich auf einen orbitalen Ring namens Elysium zurückgezogen und die Erde den Massen überlassen. In den Slums von Los Angeles leben die Menschen von der Hand in den Mund, Verbrechen und Armut sind allgegenwärtig. Arbeit ist kaum zu bekommen, Arbeiter werden als austauschbare Ware behandelt. Als Max (Matt Damon) einen Industrieunfall hat und verstrahlt wird, bleiben ihm noch zwei Tage zu leben – außer, er schafft es nach Elysium zu gelangen und dort die notwendige Behandlung zu erzwingen.

Raumsemantik

Eine Möglichkeit, die Bedeutung fiktionaler Texte zu entschlüsseln ist die strukturalistische Analyse, wobei die Raumsemantik des russischen Literaturwissenschaftlers Juri Lotman eine spezielle Unterform des Strukturalismus darstellt. Lotman geht davon aus, dass zwischen räumlichen Kategorien und nicht-räumlichen Sachverhalten eine Beziehung besteht. Beispielsweise sprechen wir in der Politik von linken und rechten Parteien oder gesellschaftlich von einer Ober- und Unterschicht. Diese Beziehung kann man auch umkehren und, ganz besonders in Fiktionen (wie eben auch einem Film) dazu nutzen, bestimmte Räume mit anderen Bedeutungsebenen aufzuladen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Wald in den Märchen der Gebrüder Grimm, der als Ort für Gefahr, abseits der Zivilisation Bedeutung trägt. Auf diese Weise werden Räume semantisiert und Grenzen aufgezogen. Erzählungen fokussieren zumeist die Übertretung dieser Grenzen als Ereignis der Handlung und als wichtige Verhandlung der semantischen Kategorien.

Raum in Elysium

Am Beispiel von Elysium kann man Lotmans Raumsemantik besonders schön verdeutlichen, gibt es doch zwei klar abgegrenzte Räume und eine zentrale Grenzüberschreitung, um die die Handlung des Films kreist. Die Orbitalstation Elysium und die Stadt Los Angeles sind im Film auf unterschiedliche Arten semantisiert, d.h. mit Bedeutung aufgeladen.

  • Wie stellt der Film die verschiedenen Orte dar (z.B. Kamera, Ton, Schnitt, Licht)?
  • Welche Figuren bestimmen die Orte und wie sind diese charakterisiert?
  • Wie leben die Menschen in den beiden Räumen?
  • Wie würden Sie die Räume beschreiben?

Weitere Fragen für die Diskussion:

  • Wie beschreiben Sie die dargestellte Zukunft des Films Elysium?
  • Gibt es Ansätze der „vier mal Zukunft“ von Frase?
  • Was bewirkt die Grenzüberschreitung als zentrales narratives Ereignis des Films?
  • Verändert sich danach die Zukunft?

Diskussion zum Film Elysium mit Dr. Michael Florian von der Technischen Universität Hamburg


Weiterführende Literatur und Quellen

Frase, Pete. Four Futures. London: Verso, 2016.